Die Schweiz ist bei Börsengängen Spitze

Die Schweizer Börse kam jüngst zu mehreren milliardenschweren Neuzugängen. Dieser Boom im IPO-Geschäft hat aber mehr mit Zufall als mit dem Marktumfeld zu tun.

Werner Grundlehner
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V-Zug ist einer von zahlreichen Börsenkandidaten. (Bild: Gaëtan Bally / Keystone)

V-Zug ist einer von zahlreichen Börsenkandidaten. (Bild: Gaëtan Bally / Keystone)

Die Schweiz ist einmal mehr ein Sonderfall. Hier ist die Rede vom IPO-Markt. Während weltweit der Jahresstart für Aktien-Neuemissionen (Initial Public Offering, IPO) schleppend verlief – mit abnehmender Tendenz zu den Vormonaten – wurden hierzulande drei Börsengänge verzeichnet. Dabei handelte es sich nicht um Startups oder kleinere Unternehmen mit «wackeligen» Geschäftsmodellen, wie sie teilweise im vergangenen Jahr an die Schweizer Börse drängten. Mit Medacta, Alcon und Stadler Rail sind drei Unternehmen neu auf dem Börsentableau, die je einen Börsenwert von weit über 1 Milliarde auf die Waage bringen.

Nachwehen der Kursschwäche

Im ersten Quartal verlief das globale IPO-Geschäft schleppend – auch in der Schweiz. Die Börsenschwäche zum Jahresende hat wohl den Aspiranten einen Schrecken in die Knochen gejagt. Doch die Aktienmärkte haben sich schnell wieder erholt, die Volatilität ist tief, und die bisherigen Börsengänge erzielten erfreuliche Zeichnungsgewinne. Die Anzahl der weltweiten Börsengänge sank von Januar bis März 2019 aber trotzdem um 41% auf 199. Das Emissionsvolumen verringerte sich dabei sogar um 74% auf 13,1 Mrd. $. In Europa ging die Zahl der IPO im Vergleich zum Vorjahr um Hälfte auf 23 Börsengänge zurück.

«Das erste Quartal ist traditionell ein ruhiges Quartal an der Börse», sagt Jolanda Dolente, IPO-Leader bei EY Schweiz. Das erste Quartal 2019 sei zusätzlich durch verschiedene Unsicherheiten geprägt gewesen wie den anstehenden Brexit, handelspolitische Spannungen zwischen den USA, China und Europa sowie geopolitische Unsicherheiten. Deshalb waren laut Dolente deutlich weniger Börsengänge zu verzeichnen als in anderen Jahren.

Die Aktivität im IPO-Geschäft korreliert in der Regel mit der Börsenentwicklung. Ein Eigentümer verkauft Beteiligungen an seinem Unternehmen am Aktienmarkt, wenn er einen ansprechenden Preis dafür erzielen kann. Doch die rege IPO-Tätigkeit an der Schweizer Börse ist zu einem gewissen Mass auch zufällig. So haben etwa das Tessiner Medtech-Unternehmen Medacta und auch der Hersteller von Zugmaterial Stadler Rail jahrelang auf die Börsenöffnung hingearbeitet. Alcon wurde von Novartis abgespalten, weil sich der Mutterkonzern aufs Kerngeschäft fokussieren will. Die Absicht war schon seit längerem bekannt. Es ist ein Zufall, dass die IPO so kurz aufeinander folgen.

Das günstige Fenster nutzen

Börsengänge werden gemäss Dolente im Normalfall über eine lange Zeit vorbereitet, oft mindestens über 18 bis 24 Monate. «Sobald ein Unternehmen bereit ist für ein IPO, gilt es ein günstiges Zeitfenster mit guten Marktbedingungen abzuwarten», fügt die EY-Partnerin an. Insofern sei es nicht überraschend, dass mehrere IPO kurz nacheinander angekündigt werden, wenn sich nach einer Phase des Abwartens das Aktienemissions-Fenster wieder öffne.

Während in der Schweiz im April Qualitäts-Unternehmen ihr Debüt auf dem Börsenparkett gaben, machten sich in den übrigen Märkten Anzeichen einer Flaute bemerkbar. Unschöne Erinnerungen an Übertreibungen zu Zeiten der Internetblase wecken die Börsenpläne der Unicorns in den USA. Dies sind schnell wachsende Unternehmen, die dank üppigen Geldern von Risikokapitalgebern keine Mittel über die Börse aufnehmen müssen. Lange zierten sich diese Unternehmen, die in der Regel keinen Gewinn erzielen und alles auf die Karte Umsatzexpansion setzen, vor dem Gang aufs Börsenparkett. Doch in den vergangenen Monaten kam Bewegung in den Sektor.

Ende März kotierte der Fahrdienstleister Lyft, die Nummer zwei im Geschäft hinter Uber, seine Aktien. Der Emissionspreis lag bei 72 $, nach einem Sprung auf fast 90 $ bewegen sich die Titel derzeit unter 60 $. Lyft bringt damit eine Börsenkapitalisierung von 17 Mrd. $ auf die Waage. Auch Uber, das nach der letzten Finanzierungsrunde mit 76 Mrd. $ bewertet wurde, hat das IPO angekündigt.

Beide Unternehmen schreiben hohe Verluste. Lyft wies 2018 bei Einnahmen von 2,2 Mrd. $ einen operativen Verlust von 911 Mio. $ aus, bei Uber betrugen diese Werte 11,3 Mrd. $ bzw. 3 Mrd. $. Jeder heiss umkämpfte Neukunde erhöht vorläufig den Verlust. Zahlreiche Beobachter bezweifeln, dass das Modell sich überhaupt rentabel betreiben lässt. Lyft hat bereits begonnen, in die Vermietung von Electro-Scootern zu diversifizieren.

Viele Aktien aus der Tech-Branche

In der vergangenen Woche wagte auch die visuelle Suchmaschine Pinterest den Börsenstart. Das Unternehmen, das im vergangenen Jahr den Umsatz um 60% auf 750 Mio. $ erhöhte, erreichte einen Börsenwert von über 10 Mrd. $. Auch Pinterest schreibt noch rote Zahlen. Weitere Einhörner wie etwa Slack, ein Anbieter von Büro-Kommunikations-Tools, haben der Börsenaufsicht die Unterlagen für den Börsengang eingereicht.

Einige werden für die Börsenkotierung den Weg über ein sogenanntes Direct Listing wählen, wie es etwa der schwedische Streaming-Dienst Spotify gewählt hat. Ein solcher Börsengang ist schneller und mit weniger Aufwand durchführbar, er lässt aber keine Kapitalerhöhung zu. Es zeige sich auch weltweit, dass Titel aus dem Tech-Umfeld zu den häufigsten IPO-Kandidaten gehörten, erklärt Dolente. Inwiefern diese Titel auch in Zukunft die Erwartungen der Investoren erfüllen würden, könne zum heutigen Zeitpunkt noch nicht beurteilt werden.

Studien zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen der Reife der Kursentwicklung an den internationalen Finanzmärkten und der Qualität der Unternehmen gibt, die sich durch einen Börsengang Kapital beschaffen wollen. Der Anteil von IPO unprofitabler Unternehmen nimmt mit zunehmender Dauer einer Hausse an der Börse zu. Inzwischen ist ihr Anteil so hoch wie unmittelbar vor dem Platzen der Internetblase um die Jahrtausendwende.

Viele hiesige Kandidaten

In der Schweiz dürfte punkto Börsengänge vorübergehend etwas Ruhe einkehren. Er werde jetzt erst einmal etwas ausspannen, es seien anstrengende Monate gewesen, sagt ein Schweizer Investmentbanker nach dem Stadler-Börsengang. Doch für den Rest des Jahres könnten noch einige Schweizer IPO erfolgen. Voraussetzung dafür ist, dass die Börsenlage stabil bis erfreulich bleibt.

Börsenkandidaten mit internationaler Ausstrahlung haben nicht mehr allzu viel Zeit im aktuellen IPO-Fenster. «Für einen Börsengang verlangen die federführenden Banken von den Revisionsgesellschaften einen Comfort Letter», erklärt Andreas Neumann, Leiter Aktienmarkt bei der Zürcher Kantonalbank. Damit werde einerseits festgestellt, dass die historischen Zahlen im Prospekt korrekt wiedergegeben seien, und anderseits würden gewisse Aussagen zum laufenden Geschäftsjahr bestätigt.

Dieses Schreiben wird seitens der Revisionsgesellschaften innerhalb von 135 Tagen seit dem letzten Bilanzstichtag ausgestellt. Insofern könnten sich Unternehmen noch bis Mitte Mai für einen Börsengang Zeit lassen, falls auf die Finanzzahlen von Dezember abgestellt wird. Die Vorbereitungen für einen Börsengang dauern rund ein halbes Jahr.

Dabei hüllen sich die beteiligten Parteien wie Investmentbanken und Anwaltskanzleien in Schweigen, weil oft «alle Optionen für eine Kapitalmarkttransaktion geprüft werden», wozu auch Verkäufe, Fusionen und die Mittelbeschaffung über Anleihen gehören. Sind alle Vorarbeiten abgeschlossen, kann das IPO innert Wochen durchgezogen werden.

Andreas Neumann erwartet jedoch nicht, dass die Zahl der Börsengänge 2019 an jene des Vorjahres herankommt. In den Startlöchern stehen laut Bankenkreisen der Hersteller von Verpflegungsautomaten Selecta, der Haushaltsgerätehersteller V-Zug, die Immobilienfirma Infracor, die Verpackungsspezialisten Aluflex und Model sowie die Immobilienplattform Crowdhouse.

Mit einem IPO liebäugeln ausserdem die Softwarehersteller Avaloq und Software One sowie die Medtech-Firmen Mathys, Thommen Medical und Implantica. Auf dem IPO-Menu stehen auch weitere Abspaltungen, etwa bei Ruag oder Swiss Re. Diese lange Liste verspricht für das laufende Jahr noch viel Bewegung im IPO-Markt.

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