Reiche Anleger können ihr Vermögen vielleicht schon bald von Google oder Amazon verwalten lassen

Globale Tech-Konzerne verfügen über viel technisches Know-how in der Vermögensverwaltung und könnten zur Konkurrenz für den Schweizer Finanzplatz werden. Dieser geht neue Wege, um seine weltweit führende Stellung in der Branche zu verteidigen.

Lorenz Honegger
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Google entwickelt und verkauft bereits heute Cloud-Lösungen und digitale Infrastrukturen für Vermögensverwalter.

Google entwickelt und verkauft bereits heute Cloud-Lösungen und digitale Infrastrukturen für Vermögensverwalter.

Brian Snyder / Reuters

Für wohlhabende Anleger ist die Schweiz die erste Adresse in Sachen Vermögensverwaltung. Hiesige Finanzinstitute verwalten über einen Viertel der grenzüberschreitenden Vermögen weltweit – rund 2300 Mrd. Fr. Dennoch muss der eidgenössische Finanzplatz seine Stellung immer wieder aufs Neue behaupten. Fintech-Unternehmen und Neo-Banken drängen mit potenziell disruptiven Geschäftsmodellen auf den Markt. Die mittel- bis langfristig grösste Gefahr geht aber von globalen Technologiekonzernen aus.

Die Boston Consulting Group machte Anfang Sommer in ihrem «Global Wealth Management Report» auf den Umstand aufmerksam, dass Amazon, Google und Microsoft bereits heute Cloud-Lösungen und digitale Infrastrukturen für Vermögensverwalter entwickeln und verkaufen. Die Unternehmen könnten versucht sein, in den nächsten Jahren eigenständig technologisch hochstehende Dienstleistungen im Bereich Wealth-Management für wohlhabende Privatpersonen anzubieten. Im Fokus stünden vermutlich in einem ersten Schritt die USA, in einem zweiten Schritt aber auch die stärker fragmentierten europäischen Märkte.

Tech-Firmen drängen in die Wertschöpfungskette

Auf der Suche nach neuen Ertragsquellen haben die Tech-Konzerne in den vergangenen Jahren ihr Angebot an Finanzdienstleistungen kontinuierlich ausgebaut. Sie verfügen über zahlreiche Vorteile, die ihnen den Einstieg in den Finanzsektor erleichtern; dazu gehören ihre enorme Nutzerreichweite, das technologische Know-how, die Markenbekanntheit und der enorme Bestand an Kundendaten. Damit sind sie in der Lage, ihr Angebot im Finanzsektor «sehr schnell zu skalieren», wie der Finanzstabilitätsrat der Bank für internationalen Zahlungsausgleich vor wenigen Monaten betonte: «Die Expansion von Big-Tech-Unternehmen in den Finanzsektor erfolgte in gewissen Fällen rapide.»

Der Eintritt in den Finanzsektor erfolgt oft über Zahlungsdienstleistungen. Hunderte Millionen Menschen weltweit nutzen heute mobile Zahlungsdienste wie Apple Pay oder Google Pay. In Entwicklungs- und Schwellenländern gehören Big-Tech-Unternehmen zu den wichtigsten Akteuren im Geschäft mit Finanzdienstleistungen, so beläuft sich das Volumen der mobil abgewickelten Zahlungen in China auf 16% des Bruttoinlandproduktes. Konzerne wie Alibaba und Tencent sind längst auch im Asset-Management aktiv. In den USA vergibt Amazon Kredite und bietet Versicherungen an. Der Einstieg ins Vermögensverwaltungsgeschäft wäre laut Experten der naheliegende nächste Schritt im Hinblick auf die nächste Generation von vermögenden Kunden, die mit den neuen Technologien aufgewachsen ist.

Investitionen und Partnerschaften

Der globale Bankensektor und mit ihm der Schweizer Finanzplatz hat also keine andere Wahl, als der Offensive der Tech-Konzerne mit grossen Investitionen in die eigenen Plattformen und strategischen Partnerschaften entgegenzutreten. Die Credit Suisse etwa kündigte vergangene Woche weitere Investitionen ins Digitalgeschäft und mehr Kooperationen mit Fintech-Unternehmen an. Bei der UBS, dem grössten Vermögensverwalter der Welt, beginnt am 1. November mit dem Niederländer Ralph Hamers ein neuer Konzernchef, der sich bei der ING-Bank mit einer konsequenten Digitalisierungsstrategie einen Namen gemacht hat.

Georges Grivas, Professor an der Hochschule Luzern, sagt, anders als noch in früheren Jahren gehe heute eine zunehmende Zahl von Verantwortungsträgern im Finanzsektor davon aus, dass Big-Tech-Unternehmen die Schweizer Banken in Zukunft ernsthaft konkurrenzieren könnten. Grivas hält den Eintritt der Konzerne in das westliche Vermögensverwaltungsgeschäft für unvermeidlich. «Bisher hatte eine Universalbank alle Teile der Wertschöpfungskette unter ihrem Dach. In Zukunft übernehmen die Fintech- und Big-Tech-Firmen immer mehr Teile davon und integrieren diese in ihre Ökosysteme.» Schweizer Finanzinstitute müssten deshalb neben Kooperationen mit der Fintech-Branche auch vermehrt in die Forschung und in die IT investieren.

Swissness-Bonus bleibt zentral

Als Innovationschef im Bereich Digital Wealth Management erforscht Martin Meyer bei der UBS mit seinem Team neue Technologien und Geschäftsmodelle. Er hat in jungen Jahren das erste E-Banking der Grossbank mit aufgebaut und bildet heute an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich im Rahmen eines CAS-Studiengangs Branchenkollegen in Fragen der digitalen Vermögensverwaltung weiter.

Damit der Schweizer Finanzplatz seinen Swissness-Bonus in der Vermögensverwaltung im Digitalen ausspielen kann, müssen die Institute laut Meyer ihr Angebot neu denken und mit ihren digitalen Auftritten noch empathischer werden. Das bedeute zum Beispiel, dass die Banken die Kundenbetreuer und Kunden frühzeitig in die Entwicklung neuer IT-Lösungen einbinden.

Das Ziel ist aber auch eine stärker datenbasierte, massgeschneiderte Anlageberatung. Die Finanzinstitute verfügen schon heute über umfangreiche Transaktionsdaten ihrer Kunden. Richtig analysiert, lassen die vorhandenen Informationen eine viel präzisere Einschätzung des Kundenprofils zu, als es beim Ausfüllen eines Fragebogens zu Beginn eines Beratungsprozesses jemals möglich sein wird. In ferner Zukunft wäre es theoretisch auch denkbar, dass Vermögensverwalter ihre Kunden im Rahmen eines Alert-Systems warnen können, wenn sie bei der Anlagetätigkeit Fehler begehen, die schon andere begangen haben. «Das sind Gedankenspiele, die noch sehr weit weg sind», sagt Meyer. Derzeit fehle hierzulande die Akzeptanz für entsprechende Angebote, und der Datenschutz setze ebenfalls enge Grenzen.

Auch in Sicherheitsfragen wie der digitalen Kundenidentifikation macht die Branche international Fortschritte. In Asien gibt es Finanzdienstleister, die ihre Kunden mit einer Kombination aus Gesichtserkennung und Erfassung der Bewegungsmuster bei der Handhabung ihrer Smartphones identifizieren.

Der grösste Knackpunkt bei der Digitalisierung der Vermögensverwaltung ist aber der Kundenkontakt. «Die menschliche Resonanz lässt sich nicht digitalisieren», sagt Meyer. Bei asiatischen Banken wird mittels Stimmerkennung allerdings schon heute eruiert, ob ein Kunde in der Warteschlaufe gutgelaunt oder verärgert ist. Bei automatisierten Chat-Bots rät Meyer zur Zurückhaltung: Die im Hochpreissegment tätigen Schweizer Finanzinstitute müssten die Standards höher setzen als Neobanken. Gute Applikationen seien wichtig, aber es werde auch in Zukunft entscheidend sein, dass der Kunde bei Bedarf rasch einen Kundenberater in Fleisch und Blut am Telefon habe.

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