Zum Inhalt springen

Kryptomining Wie Bitcoin den Chipmangel verschärft

Klimakiller, Schrottschleuder - und dann auch noch Räuber der knappen Ressource Mikrochips? Forscher rechnen dem Mining von Kryptowährungen wie Bitcoin eine wichtige Rolle beim akutesten Mangelproblem der Wirtschaft zu.
Rare Ware: Auszubildende des Chipfertigers Globalfoundries in Dresden präsentiert einen Siliziumwafer

Rare Ware: Auszubildende des Chipfertigers Globalfoundries in Dresden präsentiert einen Siliziumwafer

Foto: Juergen Maennel / imago images/ddbd

Bitcoin und andere Kryptowährungen stehen wegen ihres Energiehungers schon länger im Ruf als Klimakiller. Datenanalyst Alex de Vries von der niederländischen Zentralbank und Energieexperte Christian Stoll, der an der US-Universität MIT und der Technischen Universität München forscht, haben sich nun einmal den negativen Folgen von Bitcoin in einer Studie angenommen. Eindrücklichstes Ergebnis: Bitcoin und Co. drohen die Welt mit Elektroschrott zu überhäufen. 30.000 Tonnen Abfall pro Jahr erzeugen allein die ausschließlich zum "Mining" des digitalen Gelds tauglichen Computer, die meist keine zwei Jahre laufen und oft nicht einmal einen einzigen Eintrag in der Blockchain zustande bringen. Für jede Transaktion des Bitcoin-Netzwerks, so haben die Forscher errechnet, werde so mehr als das Gewicht eines aktuellen iPhones weggeworfen.

Quasi nebenher zeigen die beiden Forscher zudem noch einen weiteren Mechanismus auf, der bisher wenig beleuchtet ist: "Um den Bedarf der Bitcoin-Miner zu decken, könnte bis zu ein Viertel der Jahreskapazität von Samsung und TSMC in Beschlag genommen werden", schreiben sie in der Studie , die in der Fachzeitschrift "Resources, Conservation and Recycling" veröffentlicht wurde. Heißt konkret: Die Bitcoin-Miner verschärfen den Chipmangel, der derzeit viele Branchen beutelt und allein die Autoindustrie Milliarden kostet.

Samsung und TSMC sind die einzigen beiden Massenhersteller von Halbleitern  der Sieben-Nanometer-Chiptechnik. Für eine Million Bitcoin-Mininggeräte des aktuellen Modells Antminer S19 Pro vom dominierenden chinesischen Fabrikanten Bitmain würden 149.476 Siliziumwafer gebraucht, heißt es in der Studie. Das hat massive Folgen für die Produzenten von Smartphones, Spielekonsolen oder Elektroautos: Sie alle konkurrieren mit der Finanzkraft der Bitcoin-Blase um die Kapazitäten der Chipwerke in Taiwan oder Südkorea.

Für die Industriekunden dürfte es wie eine Drohung wirken, dass der Kryptomining-Riese Bitmain im August von einer Preiserhöhung durch Chiplieferant TSMC um bis zu 20 Prozent berichtete – und auch, dass TSMC-Chef C.C. Wei in einer Investorenkonferenz bekräftigte, "wir werden weiterhin eng mit unseren Kunden in diesem Feld zusammenarbeiten". Das Mining von Kryptowährungen sei zwar immer noch "volatil", aber "reifer als vor zwei oder drei Jahren".

Wie einflussreich der Mechanismus ist, zeigte sich 2018. Damals erlebte TSMC das Gegenteil der heutigen Situation: Als die Preise von Bitcoin und Co. einbrachen, lohnte sich das Mining kaum noch. Gerätehersteller wie Bitmain – damals einer der fünf größten Kunden des taiwanischen Chipkonzerns – stornierten massenhaft Aufträge. Plötzlich gab es Chips im Überfluss. "Die Nachfrage aus der Kryptowährungsindustrie kann einen erheblichen Einfluss auf den Chipmarkt ausüben", erklärt C.W. Chung, Chef der Analyseabteilung der Investmentbank Nomura in Seoul.

Nvidia im Konflikt: Gamer gegen Miner

Wer bietet mehr? Das kann jetzt, neben der langfristigen Bedeutung der Kundenbeziehungen und ihrem politischen Gewicht darüber entscheiden, wer die begehrten Chips von TSMC und Samsung bekommt. Bitmain hat laut asiatischen Branchendiensten  bei TSMC einen Großauftrag für die Chips der neuen Generation mit fünf Nanometern platziert, die bisher im Kryptomarkt noch keine Rolle spielen. Im laufenden Quartal soll die Produktion beginnen und Anfang 2022 hochgefahren werden. Wenn sich dann die neuen Bitmain-Geräte als schnellere Rechner im Bitcoin-Mining durchsetzen, könnten sie mit hoher Gewinnmarge die gestiegenen Chippreise locker wettmachen. Apple als einer der Hardwarehersteller, die bereits jetzt im großen Stil Fünf-Nanometer-Chips verwenden, zeigt sich preissensibler und fährt seine Nachfrage herunter.

Auch die zweitgrößte Kryptowährung Ethereum verzerrt den Chipmarkt – für viele Endkunden spürbarer, weil im Ethereum-Mining statt spezialisierter Maschinen mit einem einzigen Bestimmungszweck vor allem klassische Grafikprozessoren zum Einsatz kommen. Deren führender Hersteller Nvidia optimiert sie für Computerspiele, rühmt sich aber auch anderer Anwendungen "von Wettersimulationen und Gensequenzierung bis Deep Learning und Robotik". Und, nun ja, "das Schürfen von Kryptowährungen ist auch eine davon".

Sehr zum Ärger der Gamer, denn der Krypto-Boom hat ihnen die Preise selbst für gebrauchte Grafikkarten verdorben, wenn sie überhaupt noch welche ergattern können. Um seine Stammkunden zu halten, hat Nvidia im Februar seine Grafikkartenserie Geforce in zwei verschiedene Segmente aufgeteilt: Grafikkarten mit gedrosselter Leistung, "damit sie weniger attraktiv für Miner werden", und eine neue Produktreihe extra für den Kryptobedarf. Doch schon im Mai wurde der nächste Launch fällig, weil die Miner einen Weg gefunden hatten, auch die lahmeren, für Gamer gedachten Prozessoren für sich zu nutzen.

Auch klassische Computer wie Server werden von der Kryptobranche nachgefragt, was die Preise für dynamische RAM-Chips treibt. Die als grüne Bitcoin-Alternative gestartete Kryptowährung Chia setzt auf Festplattenspeicher als Leistungsnachweis fürs "Farming". Der Effekt auch hier: ein Run auf die Geräte, die so ihrem Zweck entfremdet werden.

Die größte Hoffnung für die Industriekunden: Die Preise für Kryptowährungen können auch schnell wieder fallen und damit Druck vom Chipmarkt nehmen. So geschah es in diesem Frühjahr, als der Bitcoin-Kurs von mehr als 60.000 unter 30.000 US-Dollar sank, gefolgt von einem Sturz der Preise für Grafikkarten um 40 Prozent. Aktuell hat sich beides wieder auf höherem Niveau eingependelt.

ak
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.